Was freie Software mit Schafen zu tun hat
Ein Versuch, die Vorteile von freier und Open Source Software zu erklären
Dass freie Software etwas mit Kochen zu tun hat, das hatte ich ja schon des Öfteren erzählt. Heute möchte ich zur Abwechslung mal zeigen, was freie Software mit Schafen zu tun hat. Genau, mit Schafen! Aber wer jetzt denkt, das wird ein Text zum Community-Management, der von Herden, Schäfern und grünen Wiesen handelt, der irrt…
Häufig kommt die Frage auf, ob freie und Open Source Software denn eigentlich besser ist als proprietäre Programme. Mein Bauchgefühlt sagt mir ganz klar: natürlich! Wenn ich das Ganze aber mit etwas Abstand betrachte und versuche zu objektivieren, dann ist die Antwort ein bisschen ausführlicher.
Vergleichen wir das Ganze doch einfach mal mit Bekleidung. Jeder von uns braucht Klamotten, denn die wenigsten laufen den ganzen Tag nackt durch die Gegend. Manche haben ein Faible für Kleidung, kennen sich mit Mustern, Schnitten und Materialien aus und wissen immer, was angesagt ist. Für andere ist Bekleidung einfach nur ein Gebrauchsgegenstand, der immer ähnlich aussieht. Vergleichbar ist es auch beim Auto. Manche sind Experten, kennen sich mit Motoren aus und schrauben gerne, während andere einfach nur wollen, dass das Ding fährt - irgendwelche technischen Details und philosophische Diskussionen dazu sind ihnen herzlich egal.
Nicht anders ist es mit Software. Während manch einer alle Finessen und technischen Details wie aus der Westentasche kennt, will ein anderer einfach nur seinen Computer benutzen, ohne sich weiter damit zu beschäftigen oder gar Diskussionen zu Lizenzen und Entwicklungsmodellen zu führen.
Kleidung ist allgegenwärtig, genauso wie für jeden von uns heute Software allgegenwärtig ist, sei es mittelbar oder unmittelbar. Mobiltelefone, Fernseher, Drucker, ja sogar Autos, Waschmaschinen und Glühbirnen - so ziemlich alles was uns im Alltag begegnet läuft heutzutage mit Software.
Ein T-Shirt ist, genauso wie beispielsweise ein Grafikprogramm, zunächst mal eine Produktgattung. Am Markt gibt’s eine Vielzahl von Waren, die alle ähnlich aussehen und dieselbe Grundfunktion erfüllen. Egal, ob es das teure Luxusstück aus dem Designerladen oder das nur wenige Euro teure Modell vom Discounter ist, beide kann man anziehen und beide sind mehr oder weniger modisch. Auch ein Grafikprogramm wird in der Regel alle wesentlichen Funktionen erfüllen - mit so ziemlich jeder Software kann man Zeichnungen anfertigen und ausdrucken, ganz egal ob es eine unbekannte App eines einzelnen Programmierers ist oder die jedem bekannte Software eines weltweit bekannten Konzerns.
Sieht man sich das Ganze genauer an, dann wird die Sache aber schon spannender.
Beim T-Shirt hat man nicht nur die Wahl zwischen vielen Farben oder Schnitten. Es gibt auch eine schier unerschöpfliche Auswahl an Materialien und Herstellungsarten, die sich zudem in puncto Nachhaltigkeit, Reparierbarkeit, Umweltschutz und Herstellungsbedingungen massiv unterscheiden. Zum einen das absolute Billigmodell, das aus einem minderwertigen Stoffgemisch gefertigt wurde und schon eine Reise um den halben Erdball hinter sich hat. Bei dem Preis dürfte es auch niemanden überraschen, dass die Arbeitsbedingungen, unter denen das T-Shirt entstanden ist, wohl eher prekär sind und es auch um den Umweltschutz nicht so gut bestellt ist. Mit Glück hält es ganze eine Saison, danach ist es oft schon ein Fall für den Müll - mit Nachhaltigkeit hat das nicht viel zu tun. Geht es kaputt, lohnt sich das Reparieren meist nicht. Zum anderen gibt es das teure Modell des Luxusherstellers. Das kann in manchen Aspekten durchaus viel besser sein, muss es aber nicht zwingend. Auch hier werden die Produkte häufig erstmal um den halben Globus geflogen, bis sie im Laden sind, und nicht immer entspricht die Qualität auch dem Preis.
Kommen wir aber jetzt endlich mal zu den Schafen.
Ich bin ein bekennender Fan von Kleidung aus Schafwolle. Die Produkte sind deutlich weniger bekannt als Markenprodukte aus anderen Materialien und können preislich nicht mit den wenigen Euro teuren Artikeln vom Discounter mithalten. Auch hier bekomme ich trotz des Preises leider nicht automatisch nachhaltig produzierte Ware. Manche Produkte werden rund um den Globus geflogen und die Tiere müssen zur Herstellung leiden. Es gibt aber auch zahlreiche Hersteller, manche sogar als Genossenschaft organisiert, die nachhaltig, fair, ökologisch, lokal und unter Berücksichtigung des Tierwohls produzieren und deren Produkte bei richtiger Pflege viele Jahre lang halten, auf lange Sicht gesehen also sogar günstiger sein können als vermeintliche Schnäppchen. Einige Hersteller bieten gar einen Reparaturservice an, damit das gute Stück bei einem Schaden nicht gleich entsorgt werden muss. Man bekommt also durchaus tolle Qualität von einem kleinem Anbieter, der nicht mal überregional, geschweige denn weltweit bekannt ist.
Das bringt mich wieder zurück zur Software. Auch hier hat der Anwender die Qual der Wahl, was Qualität, Preis, Hersteller, Produktionsbedingungen und Nachhaltigkeit angeht. Bei der Software ist es ähnlich wie bei der Mode - der Anschaffungspreis ist das eine, die Pflege und Wartung darf man aber nicht unterschätzen. Software benötigt regelmäßige Updates, die heute oft im Abomodell daherkommen. T-Shirts hingegen wollen gewaschen werden, im Fall von Luxus-Designerware mitunter nur in der Reinigung - all das zieht Aufwand und Kosten nach sich, die man nicht unterschätzen darf. Ein weiteres Kriterium ist der Anwendungszweck. Während der eine nur ein bequemes T-Shirt für’s Sofa sucht, braucht der andere ein Hemd, das zum Anzug passt, und der nächste sucht stabile Arbeitsbekleidung für raue Einsätze. Bei der Software benötigt der eine Anwender ein Grafikprogramm für gelegentliche Zeichnungen, ein anderer arbeitet als Fotograf und führt damit umfangreiche Bildbearbeitung durch, bei denen er alle Funktionen bis zum äußersten ausreizt.
Die Produktgattung “Grafikprogramm” erfüllt für die meisten Leute ihren Zweck genauso wie die Produktgattung “T-Shirt”. Am Ende ist immer die Frage, was einem persönlich wichtig ist. Möchte ich genau wissen, wie mein Produkt entsteht und wer involviert ist? Habe ich spezielle Ansprüche an Qualität, Nachhaltigkeit und Umweltfreundlichkeit? (Ja, auch für Software gibt es mittlerweile entsprechende Zertifizierungen.) Möchte ich Dinge ggf. selbst anpassen und reparieren können? Was gefällt mir? Was “fühlt” sich gut an?
Um zur Ausgangsfrage zurück zu kommen: Auch bei differenzierter Betrachtung gewinnt für mich hier die freie Software. Fair, offen, ehrlich und nachhaltig in weltweiten Communities produziert, alles transparent, jeder kann selbst Verbesserungen beitragen, und es “fühlt” sich einfach gut an. Bei den Funktionen steht freie Software der proprietären in der Regel in nichts nach, übertrifft sie oft sogar. Das heißt nicht, dass es nicht auch proprietäre Software gibt, die mir gefällt und die ich nutze - freie Software “fühlt” sich aber einfach besser an.
Gleichzeitig versuche ich, niemanden über Gebühr zu “missionieren” und alle philosophischen Facetten des Open-Source-Modells zu erklären (oder gar in die Diskussion über den Unterschied von freier Software und Open Source einzusteigen), denn ich muss akzeptieren, dass für manche der Computer einfach nur ein Gebrauchsgegenstand ist - so wie es für andere das Auto oder das T-Shirt ist.
Überzeugend ist man mit dem “Gesamtpaket” aus Preis, Funktion, Wohlfühleffekt, Nachhaltigkeit und Transparenz - und hier gewinnt freie Software für mich ganz klar.