Wie die Stiftung hinter LibreOffice funktioniert

Was The Document Foundation, die Stiftung hinter LibreOffice, so besonders macht, und warum nicht einfach ein Verein gegründet wurde

LibreOffice wird von tausenden Mitwirkenden aus aller Welt entwickelt, getestet, dokumentiert, übersetzt und vermarktet und von Millionen Anwendern rund um den Globus eingesetzt, herausgegeben von einer gemeinnützigen Stiftung. Diese Gemeinschaft aus Machern und Nutzern („Community“), diese Motivation und dieses Engagement ist es, was das Programm zu dem macht, das es heute ist: die führende freie Office-Suite. Der Begriff „LibreOffice“ steht demnach für zweierlei – sowohl für das Produkt, als auch für die Menschen, die dahinter stehen.

Doppeldeutig

Wer sich unser Logo genau ansieht, der stellt fest, dass dort der Begriff LibreOffice groß und prominent geschrieben steht – ein Ausdruck der Wertschätzung und Wichtigkeit unserer Community. In kleinerer Schrift darunter steht jedoch ein zweiter Begriff: „The Document Foundation“.

Die TDF, so die Kurzform, ist im offiziellen Sprachgebrauch eine gemeinnützige rechtsfähige Stiftung des bürgerlichen Rechts mit Sitz in Berlin. Sie fungiert als eine Art Treuhänder, der der Community unter anderem eine Rechtspersönlichkeit gibt. Die Stiftung ist zugleich Herausgeber der Software, Hüterin der Marken und Domains und verwaltet zudem die Spendengelder, die sie für die Zwecke der Stiftung einsetzt. Laut Satzung ist ihr Ziel die „Förderung und Entwicklung von Office-Software zur freien Nutzung durch jedermann“.

In diesem unscheinbar wirkenden Satz steckt eine ganze Menge! Zum einen tritt die TDF fördernd auf, d.h. sie unterstützt Projekte, die dem Stiftungszweck entsprechen. Zum anderen tritt sie selbst auch operativ auf und stemmt Projekte aus eigener Kraft. Mit „Office-Software“ ist natürlich primär LibreOffice gemeint, doch gibt es beispielsweise mit dem „Document Liberation Project“ noch ein weiteres, wenngleich auch eher technisch orientiertes Projekt und weitere Projekte können unproblematisch hinzukommen – die Entscheidung, der Stiftung einen projektunabhängigen Namen zu geben, hat sich damit schon früh bewährt.

Unsere Philosophie

Der Weg zur Stiftung war dabei stets motiviert von einigen zentralen Punkten, die ihren Ausdruck in unserer Satzung gefunden haben. Diese Satzung verankert die Werte und Ideale, mit denen wir seit langer Zeit zusammenarbeiten, und formalisiert sie, beispielsweise durch das Festschreiben von Offenheit und Transparenz.

Das Ziel der Stiftung ist die Weiterentwicklung von sowohl der Software, die sie herausgibt, als auch der dahinter stehenden Gemeinschaft – beispielsweise durch die Implementierung neuer Funktionen sowie durch die Organisation von Veranstaltungen zum Wissenstransfer.

Als Stiftung sind wir nicht unabhängig von Sponsoren, jedoch ist unser Mantra die Unabhängigkeit von einem einzelnen Sponsor, was unter anderem durch klare Regeln für die Beteiligung von Unternehmen statuiert wird. Gleichzeitig ist unsere Aufgabe, zum Wohle der Nutzer und insbesondere der von der Stiftung verwalteten Projekte ein Ökosystem zu pflegen, von dem alle profitieren. Oftmals kommt es beispielsweise vor, dass im Rahmen von Kundenprojekten wichtige Funktionen von Drittanbietern entwickelt und anschließend der gesamten Community zur Verfügung gestellt werden. Für uns als Stiftung sind das wertvolle Beiträge, die das Produkt noch besser machen und für die Firmen ist es hilfreich, ihre Funktionen künftig direkt in den offiziellen LibreOffice-Versionen wiederzufinden, um sich zeitintensive Pflege von Parallelversionen zu ersparen. Die Stiftung selbst tritt dabei nicht am Markt auf, wir bieten weder Dienstleistungen noch Beratung oder kundenspezifische Entwicklung an.

Um eine möglichst große Zahl von Beitragenden zu gewinnen, haben wir von Anfang an ein Augenmerk darauf geworfen, die Einstiegshürde zu senken, indem der Quelltext von LibreOffice entschlackt und modernisiert wurde. So genannte „Easy Hacks“ erleichtern neuen Entwicklern den Einstieg und Mentoren – beispielsweise im Rahmen des Google Summer of Code oder bei verschiedenen Workshops – begleiten Interessenten und erleichtern ihnen den Weg ins Projekt. Insbesondere im Bildungsbereich sind wir engagiert, bieten wir zum einen doch eine Software, die sich ideal für den Einsatz in Forschung und Lehre eignet und ermöglichen zum anderen Wissentransfer auch in Schwellenländer. Auch können Menschen leicht außerhalb des Software-Codes beitragen, beispielsweise durch Mithilfe bei der Dokumentation, bei der Übersetzung oder durch die Mitarbeit an Texten im Wiki.

Dabei ist die TDF keinesfalls auf sich allein gestellt, sondern arbeitet mit anderen Organisationen in vielfältiger Art und Weise zusammen.

Getreu dem Motto „aus der Community, für die Community“ wurde die Stiftungsgründung durch zahlreiche Spender aus aller Welt erst ermöglicht, die den nötigen Kapitalstock aufgebracht haben – in nur acht Tagen im Rahmen eines öffentlichen Fundraisings. Diesem Prinzip ist die Stiftung bis heute treu geblieben, denn die überwiegende Mehrheit des Spendenaufkommens sind kleine Beiträge von Privatpersonen, wobei Spenden durch Unternehmen selbstverständlich willkommen bleiben.

Warum eine Stiftung?

„Warum habt ihr eine Stiftung gegründet und nicht einfach einen Verein?“, so lautet eine der häufigsten Fragen, die an uns gerichtet werden. In der Tat war der Weg von der Projektgründung im September 2010 bis zur Gründung der Stiftung im Februar 2012 kein einfacher, es wurde viel diskutiert, Möglichkeiten und Optionen abgewogen, und schlussendlich fiel die Entscheidung: es sollte eine „klassische“ Stiftung nach deutschem Recht sein – zumindest fast.

Die TDF verbindet mit ihrer Satzung wichtige Ideale einer Stiftung mit den Notwendigkeiten von Open-Source-Projekten. Zum einen sind Stiftungen auf Dauer und Stabilität ausgelegt („Stiftungen sind für die Ewigkeit“) und bieten dadurch Sicherheit für Community, Anwender und Unternehmen gleichsam. Das kommt unter anderem dadurch zum Ausdruck, dass der Stiftungszweck im Wesentlichen nicht geändert werden kann. Während sich Vereine durch die Mitglieder definieren, ist bei der Stiftungsgründung der Stifterwille entscheidend. Anders ausgedrückt ist dadurch das Risiko einer „feindlichen Übernahme“ minimiert, denn ein Verein muss, sofern er gemeinnützig ist, in der Regel Mitglieder aufnehmen, sodass „Einfluss durch Geld“ denkbar ist.

Die Rechte, die in unserer Satzung verankert sind, sind dabei nicht nur hohle Phrasen – sie sind garantiert und schaffen damit Zukunftssicherheit für alle Projektbeteiligten und die Anwender. Das alles gibt in der Gesamtschau jedem Beitragenden eine klare Vorstellung davon, was mit seinem Beitrag passiert und in welchem Rahmen sein Engagement stattfindet.

Die Meritokratie macht den Unterschied

Die TDF ist meritokratisch organisiert, was nichts anderes bedeutet, als dass diejenigen, die sich um das Wohl der Stiftung verdient gemacht haben, auch ihre Geschicke lenken dürfen.

Natürlich gibt es bei uns wie in vielen anderen Organisationen einen Vorstand, der die Stiftung nach außen hin vertritt und strategische Entscheidungen fällt. Besonders bei uns ist, dass dieser aus sieben Vorständen und drei Stellvertretern besteht, die aus verschiedenen Bereichen des Projekts stammen und ebenfalls rund um den Globus verteilt sind – derzeit neben Deutschland auch England, die USA, die Schweiz und Brasilien, was die Vielfalt und Mannigfaltigkeit des Projekts widerspiegelt.

Im Gegensatz zu manch anderen Stiftungen wird bei uns der Vorstand regelmäßig – alle zwei Jahre – durch das Kuratorium neu gewählt, genauer gesagt durch das Mitglieder-Kuratorium. In diesem Begriff kommt eine der TDF ureigene Besonderheit zum Ausdruck. Während viele Stiftungen ein kleines, oftmals eher statisch besetztes Kuratorium haben, ist das Mitglieder-Kuratorium bei uns das Organ, in dem alle Beitragenden versammelt sind. Damit nähert sich die Stiftung einem in dieser Hinsicht vorteilhaften Modell eines Vereins an.

Jeder, der seit mindestens drei Monaten zum Wohlergehen der Stiftung beiträgt, sei es durch Entwicklung, Marketing, Dokumentation, Lokalisierung oder eine Vielzahl weiterer Betätigungen, und dies noch mindestens für sechs weitere Monate tun möchte, kann den Status als Mitglied im Kuratorium erhalten, der mit dem aktiven wie passiven Wahlrecht verbunden ist. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Beiträge im Rahmen einer bezahlten Tätigkeit oder ehrenamtlich erfolgen. Kurzum: Jeder, der sich an der Stiftung beteiligt und sich einbringt, kann ihre Geschicke lenken, wobei der Status an die natürliche Person und nicht etwa an den Arbeitgeber geknüpft ist. Die einzige Ausnahme, die gerade nicht für die Mitgliedschaft qualifiziert, ist die Geldspende – man kann sich also nicht einkaufen. Mitglied im Kuratorium ist man übrigens immer zum Quartalsbeginn für zunächst jeweils ein Jahr, der Status wird bei anhaltenden Beiträgen aber immer wieder erneuert – dadurch ist sichergestellt, dass nur die jeweils Aktiven auch im Mitglieder-Kuratorium vertreten sind.

Die Besetzung des Mitglieder-Kuratoriums, das derzeit aus 211 Mitgliedern aus aller Welt besteht und seit Stiftungsgründung konstant wächst, wird dabei nicht etwa durch den Vorstand geregelt, sondern durch ein eigens geschaffenes Organ der Stiftung, das Mitglieder-Komitee, für welches das Mitglieder-Kuratorium ebenfalls passiv wie aktiv wahlberechtigt ist. Das Mitglieder-Komitee hat ebenfalls eine – derzeit zum Vorstand antizyklische – Legislaturperiode von zwei Jahren und besteht aus fünf Mitgliedern und drei Stellvertretern, kann aber im Bedarfsfall auf maximal 10% der Kuratoriumsmitglieder vergrößert werden. Es regelt die Besetzung des Mitglieder-Kuratoriums willkürfrei und ist zudem für Beschwerden und Amtsenthebungsverfahren verantwortlich. Die Wahl von Vorstand und Mitglieder-Komitee werden wechselseitig überwacht.

Neben diesen offiziellen Organen der Stiftung gibt es noch einen Beirat für Unternehmen, die sich entweder für freie Software einsetzen und über eine entsprechende Expertise verfügen, oder aber direkt an der Entwicklung und Verbreitung von LibreOffice beteiligt sind. Dieser Beirat tauscht sich regelmäßig mit dem Vorstand aus, gibt ihm wertvolle Rückmeldungen und unterstützt ihn dabei, die strategischen Weichen für die Entwicklung der Stiftung zu stellen.

Ein weiteres Gremium der Stiftung ist das Engineering Steering Comittee, das technische Sachverständigen-Komitee. Es trifft in zumeist öffentlicher Sitzung die wegweisenden programmiertechnischen Entscheidungen des LibreOffice-Projekts und entscheidet in letzter Instanz über die Veröffentlichung neuer Versionen. Auch das ESC, so die Kurzform, ist mit Mitwirkenden aus aller Welt besetzt, die teilweise im Rahmen ihres Berufs, teilweise rein ehrenamtlich an LibreOffice mitarbeiten.

Wir sind anders…

Dies sind nur einige Besonderheiten der TDF, wenngleich auch mit Sicherheit die markantesten.

Daneben gibt es eine besondere Vorkehrung gegen mögliche Interessenskonflikte: Maximal ein Drittel von Vorstand oder Mitglieder-Komitee darf aus Mitarbeitern derselben Firma bestehen, um mögliche unerwünschte Situationen zu vermeiden.

Damit die Einhaltung dieser Regeln auch von der Öffentlichkeit geprüft werden kann, stehen bei uns Transparenz und Offenheit im Vordergrund: Nicht nur, dass alle Vorstandssitzungen und die Entscheidung der Organe – darunter fällt auch das Mitglieder-Komitee – von Haus aus öffentlich sind, auch unsere Buchhaltung, die Budgetplanung und die meisten Mailinglisten werden öffentlich geführt.

Natürlich gibt es gewisse Einschränkungen – auch wir haben tagtäglich mit sensiblen Informationen zu tun, die einem Geheimhaltungsbedürfnis unterliegen, beispielsweise die Namen der Spender. Solch sensible Informationen werden vor der Veröffentlichung selbstverständlich entfernt und im Sinne der Arbeitsfähigkeit der Stiftung muss auch nicht jeder Gedankengang in den Vorbereitungen zu Entscheidungsfindungen dokumentiert werden. Aber auch hier sieht die Satzung einen gesunden Ausgleich der Interessen vor, indem sie die verpflichtende Veröffentlichung von Entscheidungen vorschreibt, sobald das Geheimhaltungsbedürfnis weggefallen ist.

Ausblick

Für uns als Gemeinschaft hat sich die Form der Stiftung, in der besonderen, von uns geschaffenen Ausprägung, als sehr effizient erwiesen, denn sie spiegelt genau die Ideale und Wertvorstellungen wider, unter denen wir zum Wohl aller zusammenarbeiten wollen. LibreOffice ist nunmehr seit fünf Jahren in aktuell über 100 Sprachen für zahlreiche Betriebssysteme auf dem Markt, die Zahl der Beitragenden wächst konstant, immer neue Anwender rund um den Erdball setzen auf die führende freie Office-Suite. Die Community ist weltweit mit viel Herzblut, Engagement und Überzeugung aktiv, und bewegt dabei Tag für Tag eine Menge, womit sie vielen Menschen die digitale Teilhabe überhaupt erst ermöglicht. Neben der klassischen Desktop-Variante entsteht so derzeit auch eine Version für Smartphones und Tablets, und auch für die Cloud wird es in Zukunft entsprechende Angebote geben. Der vorstehende Text entstand unter tatkräftiger Mithilfe von Thorsten Behrens, Andreas Mantke, Björn Michaelsen und Mike Schinagl.